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Das Mädchen ohne Namen

Roman

Erschienen am 13.05.2008
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442467532
Sprache: Deutsch
Umfang: 416 S.
Format (T/L/B): 2.9 x 18.5 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Als die 17-jährige Andi eines Morgens in einer Pension irgendwo in New Mexico erwacht, ist sie entsetzt. Denn sie kann sich an nichts mehr erinnern: die letzte Nacht, ihre Herkunft, ihr Name, alles scheint wie ausgelöscht. Angst macht ihr auch die Auskunft der redseligen Wirtin, sie sei am Abend zuvor mit ihrem "Daddy" angereist. Instinktiv spürt Andi, dass von diesem Mann, der behauptet ihr Vater zu sein, höchste Gefahr ausgeht. Sie ergreift die Flucht - doch dann fasst sie gemeinsam mit ihrer neuen Freundin Mary den Entschluss, die Rollen zu vertauschen und selbst zur Jägerin zu werden.

Autorenportrait

Martha Grimes wurde in Pittsburgh geboren und studierte an der University of Maryland. Lange Zeit unterrichtete sie Kreatives Schreiben an der Johns-Hopkins-University. Mit ihren Inspektor-Jury-Romanen, die nach Meinung von Patricia Cornwell "reinste Poesie" sind, erlangte sie internationalen Ruhm. Martha Grimes lebt heute abwechselnd in Washington, D.C., und in Santa Fe, New Mexico.

Leseprobe

PROLOG Das Haar des Mädchens war weiß unter dem Schal, der inzwischen schneebedeckt war, und auf ihren Augenbrauen lag feiner Raureif. Ihr Mund war so fühllos, dass sie unfähig war zu sprechen, selbst wenn jemand da gewesen wäre, mit dem sie hätte sprechen können. Sie trug die Schneeschuhe, die sie in der Hütte gefunden hatte, sämtliche Utensilien - Schmerzmittel, Verbandszeug und alles, was sie eventuell zum Versorgen einer Wunde brauchte - hatte sie mitgebracht. Ob Fallensteller Schneeschuhe trugen, überlegte sie. Wahrscheinlich nicht. Ein Trapper würde sich jedenfalls nicht der unangenehmen Aufgabe unterziehen, bei starkem Schneefall nach draußen zu gehen, um seine Fallen nachzusehen. In New Mexico war es zwar gesetzlich vorgeschrieben, dass die Fallen alle sechsunddreißig Stunden kontrolliert wurden, doch wer hielt sich schon daran? Ein einmal gefangenes Tier blieb in der Falle. Der Schnee fiel langsam in dicken Flocken. Die Luft war schneegeschwängert und so grau, dass die fernen Berggipfel der Jemez Mountains kaum zu sehen waren. Sie entfernte sich nie sehr weit von der Hütte, denn in diesen Bergen konnten Spuren und Wege blitzschnell durch einen Schneesturm verweht werden. Und die für die Kojoten aufgestellten Fallen waren schwer auszumachen. Diesmal ahnte sie die Stelle, bevor sie sie sah. Sie blieb stehen, um zu horchen, vernahm jedoch nur das sanfte Rieseln des Schnees und, als sie sich wieder bewegte, das leise Zischen ihrer Schneeschuhe, die über die harte Schneekruste am Rand der Bäume glitten - ausladende Gelbkiefern, die die Sonne verdeckten. Wenn sie die letzte Falle, an der sie vorüber gekommen war, als Anhaltspunkt nahm, müsste in der Nähe eigentlich wieder eine stehen, und zwar knapp vier Meter weiter. Sie fand sie. Am aufgewühlten Erdreich um die Falle herum erkannte sie, wie sehr der Kojote um seine Freiheit gekämpft hatte, und mit welcher Verzweiflung. Ein Lauf war unten fast durchgenagt. Während sie ihren Rucksack herunterzerrte, fand sie einen Druckpunkt am Bein und presste den Daumen darauf, damit die Blutung aufhörte. Mit der anderen Hand und den Zähnen gelang es ihr, einen Streifen weißes Verbandszeug abzureißen, mit dem sie das Bein umwickelte. Sie hatte immer etwas Nylonschnur bei sich, mit der sie dem Tier manchmal wie eine Art Maulkorb das Maul zuband. Doch nach einem Blick auf diesen Kojoten stellte sie fest, dass er wohl kaum zusätzlich gebändigt zu werden brauchte. Sie beeilte sich - noch eine Stunde im Freien, und der Kojote wäre tot. Er blickte sie an. Die grünen Augen schwelten wie aschebedecktes Feuer. Sie wischte ihm den Schnee vom Fell, doch bildeten die stetig fallenden Flocken fast sofort wieder eine neue Schicht. Rasch wischte sie die auch wieder ab, packte dann die Decke aus und legte sie über ihn. Aus dem Rucksack zog sie die Spritze und die schwache Codein-Mischung. Diese Flüssigkeit zog sie in die Spritze auf, schob den Kolben hoch, um die restliche Luft herauszudrücken und steckte dem Kojoten die Nadel in die Flanke. Andi beobachtete seine Augen. Dort konnte sie ein langsames Blinzeln der Erleichterung erkennen, als die Benommenheit einsetzte. Mit dem Schmerzmittel bekam sie den Kojoten leichter auf den Schlitten. Als sie zum ersten Mal eine von diesen Fußangelfallen gesehen hatte, war sie neben den Kojoten hingekniet und hatte nach Kräften versucht, die Falle von seinem Fuß zu winden, es aber nicht geschafft. Der Kojote damals war wie dieser hier ruhig und unterwürfig gewesen. Er hatte versucht, ihr die eingeklemmte Pfote hinzuschieben, als wollte er sie bitten, doch etwas zu tun. Sie hatte noch einmal versucht, die Falle auseinander zu ziehen und frustriert geweint, während ihr die Tränen im Gesicht fast fest froren. Dann gebot sie sich aufzuhören. Sie wusste, wenn sie den Kojoten nicht aus der Falle bekam, würde sie ihn erschießen müssen. Sie hatte die Halbautomatik schon aus dem Segeltuchfutteral gezogen und sich hinter den Kojoten gestellt, der den Kopf so weit w Leseprobe