0

'Auf Poesie ist die Sicherheit der Throne gegründet'

Huldigungsrituale und Gelegenheitslyrik im 19.Jahrhundert, Historische Politikforschung 4

Erschienen am 06.02.2006, 1. Auflage 2006
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593378541
Sprache: Deutsch
Umfang: 342 S.
Format (T/L/B): 2.4 x 21.4 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

InhaltsangabeEinleitung I. Zur Ästhetik des Rituals: Die Gestaltung der sozialen Gelegenheit 1. Huldigung als 'Verfassung in actu' 1.1 Die Huldigung als festlicher Herrschaftsantritt 2. Ritual und Zeremoniell 2.1 Das Beispiel Preußen: Die Huldigung für Friedrich Wilhelm IV. von 1840 und die Krönung Wilhelms I. 3. Repräsentation 3.1 Literarische Repräsentation 3.2 Zwei panegyrische Kasualgedichte des 19. Jahrhunderts 3.3 Hölderlins Gedicht An eine Fürstin von Dessau 4. Theatralität und cultural performance: Institution und Handlungsform 4.1 Theatralität am Beispiel lippischer Huldigungen 4.2 Theatralität und cultural performance 5. Formen von Öffentlichkeit 5.1 Doppelte Öffentlichkeiten in Preußen und Lippe 6. Zusammenfassung: Ästhetik und Pragmatik des Politischen II. Literatur in der sozialen Gelegenheit: Symbolisches Handeln 7. Symboltheoretische Überlegungen: Das Symbolische und das Ästhetische 8. Kasuallyrik: Gelegenheitsliteratur als symbolische Handlung 8.1 Lippische Kasuallyrik anlässlich der Huldigung 1790 8.2 Eine lippische Kasualode 8.3 Eine panegyrische Hymne auf Leopold 8.4 Ein Lied als Form der Panegyrik 8.5 Preußische Gelegenheitsgedichte zu den Inthronisationen 1840 und 1861 9. Gattungstheorie und Gattungssemantik: Hymne, Ode, Lied 9.1 Die Hymne 9.2 Die Ode 9.3 Das Lied 9.4 Zur Gattungstheorie und Gattungssemantik 10. Methodischer Exkurs: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft 10.1. Kulturwissenschaft 10.2 Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft Zusammenfassende Thesen Literatur Personenregister Danksagung

Autorenportrait

Jan Andres, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld.

Leseprobe

Eine historische These der Studie ist, dass die Huldigungen und Inthronisationsfeiern einen weitgehenden verfassungsrechtlichen Funktionswandel erfahren, der das gesamte staatliche Zeremoniell betrifft. Die knappen rechtsgeschichtlichen Überlegungen zur Rolle der Huldigung im 17. und 18. Jahrhundert und die Umformung dieser Feiern im Konstitutionalismus nach dem Ende des Alten Reiches im differenzierenden Anschluss an die grundlegende Studie André Holensteins bilden den Ausgangspunkt für weiterführende Überlegungen. Dabei geht es zunächst um die Ästhetik des Rituals. Alle untersuchten Feiern sind Zeremonielle, wenngleich unterschiedlichen Status. Alle Zeremonielle sind auch Rituale. Der Arbeit geht es in dieser Frage um die Analyse der ästhetischen Qualität der Zeremonielle und die konkrete ästhetische Gestaltung. Das Zeremoniell ist ein profanes Ritual, das einer sozialen Gruppe oder Gemeinschaft als Akt der Selbstverständigung und -versicherung dient. Diese Akte müssen wahrnehmbar, sichtbar und expressiv sein: Das Zeremoniell ist ästhetisch und zugleich immer symbolisch. Die Wirkung aller Rituale hängt ganz wesentlich vom Grad ihrer ästhetischen Elaboriertheit ab. Denn die bestimmt die Präsentativität der kommunikativen Handlungen im Zeremoniell. Im vormodernen Ständestaat kommt diesem Aspekt des Sicht- und Wahrnehmbaren des Zeremoniells eine besondere Bedeutung zu. Das politisch Sagbare ist hier vielfach eher ein Sichtbares. Die Huldigung im traditionellen Sinn als Akt der gegenseitigen Verpflichtung wirkt nur als Eidesleistung unter Anwesenden. Sie ist interpersonal konzipiert. Um so wichtiger ist die genaue Einhaltung der Sequenzen und die Offensichtlichkeit der Handlungen des Zeremoniells. Diese Verpflichtung auf Anwesenheit und auf Genauigkeit schwindet im Konstitutionalismus. Wenn der Akt der Inthronisation oder des Herrschaftsantritts nicht mehr rechtsverbindlich ist und die persönliche Bindung von Obrigkeit und Untertanen durch die Verfassung ersetzt wird, lässt das Zeremoniell mehr Spielraum, wenngleich es nicht verzichtbar wird. Trotz dieses Wandels sind alle Inthronisationen repräsentative Akte. Allerdings ändert sich der Status der Repräsentation. Bei den Huldigungen des Alten Reiches ist Repräsentation ein Akt ritueller Präsentation. Der Fürst stellt sich seinen Untertanen als Person vor und ist damit selbst Verkörperung des Staates, den er darstellt. Das Zeremoniell ist Ausdruck irdischer Herrschaft. Mit der zunehmenden Entrechtlichung der Huldigung und dem sukzessiven Wechsel zu anderen Inthronisationsformen im Konstitutionalismus ändert sich der Status der zeremoniellen Repräsentation als Darstellung des Staates selbst. Der Herrscher von Gottes Gnaden ist nun nicht mehr der Mittelpunkt des Zeremoniells im Sinne personaler Präsentation. Im konstitutionellen Staat entsteht ein eher formaler Begriff von Repräsentation als Stellvertreterschaft. Die Verfassung rückt an Stelle der Person in den Mittelpunkt. Der präsentative, im Vollzug darstellende Charakter des Zeremoniells wird im juristischen Sinn repräsentativ. Alle Feiern des Untersuchungszeitraumes bleiben durch einen grundlegenden Aspekt geeint: Immer handelt es sich um theatrale Ereignisse. Immer sind es mehr oder minder öffentliche Handlungen, die einem Publikum etwas im Vollzug darstellen. Der Begriff des Theaters als Erklärungsmodell ist nach seiner Blüte im Barock jetzt wieder verstärkt in der Forschung präsent. Vor allem Erika Fischer-Lichte hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und ist zu einer weitreichenden Definition des Theatralen als cultural performance gekommen. Damit bezeichnet sie Handlungen, mit denen Akteure ihr soziales und kulturelles Selbstverständnis vollziehen und darstellen. Das Theatrale ist eine soziale Verhaltensweise, eine Folge von Handlungen, aus denen sich für Beteiligte und Zuschauer Bedeutung ergibt. Für die Huldigungen eignet sich dieser Begriff, um die darstellende und ästhetische Dimension des Zeremoniells in Verbindung mit seiner Rechtsverbindlichkeit zu erfassen. Allerdings zeichnet sich in diesem Verhältnis ein Wandel während des Untersuchungszeitraumes ab. Die Qualität, ein kulturelles Modell zu sein und ein soziales Selbstverständnis erst zu formulieren, haben die Inthronisationen der konstitutionellen Monarchie nur noch in geringerem Maße. Wenn die Rechtsverbindlichkeit des rituellen Aktes selbst zunehmend fehlt und durch die Verfassung gewährleistet wird, ändern sich auch der theatrale Status und die Formen des Zeremoniells. Das hängt wesentlich davon ab, welche Formen von Öffentlichkeit durch das Zeremoniell hergestellt werden. Während die Huldigungen auf Anwesenheit der Beteiligten setzen mussten, um ein personales Herrschaftsverständnis inszenieren zu können, reduzieren die Inthronisationen des 19. Jahrhunderts diese Anwesenheitsöffentlichkeit erheblich. Die eigentlichen Inthronisationen finden häufig in geschlossenen Räumen statt. Eine okkasionelle Anwesenheits-Öffentlichkeit wird im 19. Jahrhundert immer stärker durch eine print- und massenmedial konstituierte Lese-Öffentlichkeit überlagert. Dieser Wandel beeinflusst den Charakter des Zeremoniells wie des Theatralen: Es kann nicht mehr ausschließlich auf Präsenz setzen. Es wird medial reproduzierbar. Der zweite große Untersuchungsbereich orientiert sich an der analytischen Kategorie des symbolischen Handelns. In der Geschichtswissenschaft, der Soziologie und Ethnologie trifft man immer wieder auf diesen Begriff. Er beschreibt alle möglichen Arten von Handlungen, vom Gewalteinsatz bis zum Kniefall und anderen Gesten. Besonders häufig findet er sich in Analysen politischen Handelns und politischer Rituale. Deshalb hat der Begriff auch für diese Studie eine unmittelbare Relevanz. Allerdings hat sich die Studie um eine hermeneutische Klärung des Symbolbegriffs bemüht, um für eine interdisziplinäre Diskussion eine gemeinsame begriffliche Basis zu haben. Das Symbol wird als ein besonderes Zeichen verstanden, dessen Wirkung vom individuell deutenden Subjekt abhängt. Symbole sind nicht bloße Träger von Semantiken. Dann wären sie lediglich Zeichen. Sie sind wegen ihrer besonderen ästhetischen Verfasstheit bedeutsam und sinnlich. Zugleich sind sie immer auch individuell sinngenerierend. Symbole sind Herausforderungen an den Betrachter und ihm unmittelbar. Ein Symbol wird erst zum Symbol, wenn der Betrachter es als Symbol erkennt. Deshalb sind Symbole besondere Zeichen. Das Symbol wird erst sinnhaft, wenn die Interpretation über den reinen semiotischen Wert hinausgeht. Für symbolisches Handeln bedeutet dieses Konzept, dass es immer historisch und situativ gebunden ist. Um den symbolischen Prozess des Darstellens und Deutens erfassen zu können, müssen die konkreten Kommunikationssituationen beschrieben werden. Auch Literatur, und besonders Gelegenheitsliteratur, lässt sich mit dieser Definition als symbolische Handlung beschreiben. Gelegenheitslyrik spielt bei allen untersuchten Feiern eine Rolle, wenngleich Menge und Bedeutung der Gedichte im Rahmen der Feiern abnehmen. Die Arbeit hat sich bei dieser Frage bemüht, die Geschichte der Gelegenheitslyrik über das 18. Jahrhundert hinaus fortzuschreiben. Dabei geht es einerseits darum, die literatur- und rhetorikgeschichtliche Forschung zum Thema weiterzuführen. Auch im 19. Jahrhundert gibt es weiterhin Panegyrik in wichtigen politischen Kontexten. Die Wertschätzung der Gattung hatte zwar seit dem Aufkommen der Autonomiepoetik und der Genieästhetik immer stärker abgenommen. Verschwunden ist sie aber bis heute nicht völlig aus den sozialen und politischen Zusammenhängen, aus denen sie stammt. An die Überlegungen zur Geschichte der Kasualpoesie, hier hauptsächlich verstanden als politisches Medium, schließen sich allgemeinere gattungstheoretische Thesen zur Semantik der lyrischen Gattungen Hymne, Ode und Lied als Formen der Kasualpoesie an. An der Verwendung dieser Gedichtformen lässt sich zeigen, dass die Qualität dieser Gelegenheit...

Inhalt

Einleitung I. Zur Ästhetik des Rituals: Die Gestaltung der sozialen Gelegenheit 1. Huldigung als ''Verfassung in actu'' 1.1 Die Huldigung als festlicher Herrschaftsantritt 2. Ritual und Zeremoniell 2.1 Das Beispiel Preußen: Die Huldigung für Friedrich Wilhelm IV. von 1840 und die Krönung Wilhelms I. 3. Repräsentation 3.1 Literarische Repräsentation 3.2 Zwei panegyrische Kasualgedichte des 19. Jahrhunderts 3.3 Hölderlins Gedicht An eine Fürstin von Dessau 4. Theatralität und cultural performance: Institution und Handlungsform 4.1 Theatralität am Beispiel lippischer Huldigungen 4.2 Theatralität und cultural performance 5. Formen von Öffentlichkeit 5.1 Doppelte Öffentlichkeiten in Preußen und Lippe 6. Zusammenfassung: Ästhetik und Pragmatik des Politischen II. Literatur in der sozialen Gelegenheit: Symbolisches Handeln 7. Symboltheoretische Überlegungen: Das Symbolische und das Ästhetische 8. Kasuallyrik: Gelegenheitsliteratur als symbolische Handlung 8.1 Lippische Kasuallyrik anlässlich der Huldigung 1790 8.2 Eine lippische Kasualode 8.3 Eine panegyrische Hymne auf Leopold 8.4 Ein Lied als Form der Panegyrik 8.5 Preußische Gelegenheitsgedichte zu den Inthronisationen 1840 und 1861 9. Gattungstheorie und Gattungssemantik: Hymne, Ode, Lied 9.1 Die Hymne 9.2 Die Ode 9.3 Das Lied 9.4 Zur Gattungstheorie und Gattungssemantik 10. Methodischer Exkurs: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft 10.1. Kulturwissenschaft 10.2 Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft Zusammenfassende Thesen Literatur Personenregister Danksagung

Schlagzeile

Historische Politikforschung Herausgegeben von Wolfgang Braungart, Neithard Bulst, Ute Frevert, Heinz-Gerhard Haupt und Willibald Steinmetz