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Das Abenteuerliche Herz

Sizilischer Brief an den Mann im Mond/An einen verschollenen Freun/Das Abenteuerliche Herz - Erste Fassung/Das Abenteuerliche Herz - Zweite Fassung/Sgraffiti, Ernst Jünger Sämtliche Werke 11: Essays III

Erschienen am 14.10.2015, 1. Auflage 2015
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608963113
Sprache: Deutsch
Umfang: 480 S.
Format (T/L/B): 2.8 x 20.4 x 12.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Beide Fassungen des 'Abenteuerlichen Herzens', dazu der 'Sizilischer Brief an den Mann im Mond', der Brief 'An einen verschollenen Freund' sowie die Prosastücke 'Sgraffiti' von 1960: der dritte Essayband der Werkausgabe. Der vorliegende Band entspricht Band 9 der gebundenen Ausgabe. Kaum ein anderes Werk überarbeitete Jünger so stark wie das 'Abenteuerliche Herz'. Erschien die erste Fassung 1929, als Jünger bereits als Autor von Kriegsbüchern bekannt geworden war, so steht die zweite Fassung mit dem Untertitel 'Figuren und Capriccios' von 1938 in einem völlig anderen Kontext. Oftmals wurde 'Das abenteuerliche Herz' auch als Wendepunkt im literarischen Schaffen Jüngers gewertet: War er zuvor der Kriegsschriftsteller, so nun Literat. Einer solchen Einschätzung leistete auch die Überarbeitung Vorschub: 63 zumeist kürzere Prosastücke blieben übrig, in denen Jünger seine eigene Poetologie ebenso darlegt und erprobt, wobei er von einer Beobachtung ausgehend zu seiner (Welt-)Anschauung, seinem Denken vordringt.

Autorenportrait

Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901-1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 1914-1918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens 'Pour le Mérite'. 1919-1923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings 'In Stahlgewittern'. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 1936-1938 Reisen nach Brasilien und Marokko. 'Afrikanische Spiele' und 'Das Abenteuerliche Herz'. Übersiedlung nach Überlingen. 1939-1941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 1946-1947 'Der Friede'. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen 'Werke'. 1966-1981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.

Leseprobe

Das abenteuerliche Herz (erste Fassung) Berlin Es wäre mir unmöglich, für meine Person die starke Anteilnahme aufzubringen, deren Vorhandensein ich nicht leugnen kann, verliehen mir nicht zwei Umstände eine gewisse Sicherheit. Einmal besitze ich das bestimmte Gefühl, einem im Grunde fremden und rätselhaften Wesen nachzuspüren, und dies bewahrt vor jener pöbelhaften Eigenwärme, jener Stickluft der inneren Wohn- und Schlafzimmer, die mir am 'Anton Reiser' unangenehm ist. Es verleiht dem Zugriff eine größere Sauberkeit, wie der Gummihandschuh den Fingern des Operateurs. Ich habe dieses Gefühl, als ob ein aufmerksam beobachtender Punkt aus exzentrischen Fernen das geheimnisvolle Getriebe kontrollierte und registrierte, selbst in den verworrensten Augenblicken nur selten verloren. Ja es schien mir oft, als ob in sehr menschlichen Augenblicken, etwa denen der Angst, dort oben etwas vorginge, was ungefähr einem mokanten Lächeln verglichen werden könnte. Aber auch andere Zeichen - Trauer, Rührung, Stolz - glaubte ich zuweilen gleich Signalen einer inneren Optik an jenem Fixpunkt zu erkennen, den ich als ein zweites, feineres und unpersönliches Bewußtsein bezeichnen möchte. Von dort aus gesehen, wird das Leben von noch etwas anderem als von Gedanken, Empfindungen und Gefühlen begleitet, seine Werte werden gleichsam noch einmal gewertet, ähnlich wie ein bereits gewogenes Metall trotzdem von einer besonderen Instanz einen zweiten Stempel erhält. Von dort aus gesehen, erhält dieses Treiben auch erst einen fesselnderen Reiz als den innerhalb der Bezirke einer selbstbewußten Vitalität möglichen. Dann aber weiß ich auch, daß mein Grunderlebnis, das, was eben durch den lebendigen Vorgang sich zum Ausdruck bringt, das für meine Generation typische Erlebnis ist, eine an das Zeitmotiv gebundene Variation oder eine, vielleicht absonderliche, Spezies, die jedoch keineswegs aus dem Rahmen der Gattungskennzeichen fällt. Aus diesem Bewußtsein heraus meine ich auch, wenn ich mich mit mir beschäftige. nicht eigentlich mich, sondern das. was dieser Erscheinung zugrunde liegt und was somit in seinem gültigsten und dem Zufall entzogensten Sinne auch jeder andere für sich in Anspruch nehmen darf. Das abenteuerliche Herz (zweite Fassung) Steglitz Die Tigerlilie Lilium tigrinum. Sehr stark zurückgebogene Blütenblätter von einem geschminkten, wächsernen Rot, das zart, aber von hoher Leuchtkraft und mit zahlreichen ovalen, schwarzblauen Makeln gesprenkelt ist. Diese Makeln sind in einer Weise verteilt, die darauf schließen läßt, daß die lebendige Kraft, die sie erzeugt, allmählich schwächer wird. So fehlen sie an der Spitze ganz, während sie in der Nähe des Kelchgrundes so kräftig hervorgetrieben sind, daß sie wie auf Stelzen auf hohen, fleischigen Auswüchsen stehen. Staubgefäße von der narkotischen Farbe eines dunkelrotbraunen Sammets, der zu Puder zermahlen ist. Im Anblick erwächst die Vorstellung eines indischen Gauklerzeltes, in dessen Inneren eine leise, vorbereitende Musik erklingt. Leseprobe