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Die Kunst, die Welt zu sehen

Ausgewählte Schriften 1911-1936

Choate, Frederick / Schröder, Ingeborg / Ahrndt, Erich
Erschienen am 01.12.2004
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783886340774
Sprache: Deutsch
Umfang: 551
Format (T/L/B): 21.0 x 14.0 cm

Beschreibung

Die deutsche Erstveröffentlichung dieser Essays von Alexander K. Woronski ist ein besonderes kulturelles Ereignis. Woronski war eine herausragende Persönlichkeit des intellektuellen Lebens in der frühen Sowjetunion, der Herausgeber der wichtigsten Literaturzeitschrift in den zwanziger Jahren und ein Unterstützer von Trotzki und der Linken Opposition in ihrem Kampf gegen den Stalinismus. Als Verteidiger der Schriftsteller, die als 'Weggenossen' bezeichnet wurden, stellte er sich gegen die Proletkult-Bewegung und repräsentierte den klassischen Marxismus auf dem Gebiet der Literaturkritik im zwanzigsten Jahrhundert. Ende der zwanziger Jahre wurde Woronski aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, verhaftet, verbannt und 1937 während des stalinschen großen Terrors hingerichtet. Die stalinistische Bürokratie säuberte die Bibliotheken von seinen Werken und löschte ihn aus der Geschichtsschreibung. 1957 rehabilitiert, erschienen einige seiner Schriften in stark zensierten Ausgaben in der UdSSR. Dieser Band enthält Woronskis wichtigste literaturkritische Essays, unter anderem 'Kunst als Erkenntnis des Lebens und die gegenwärtige Welt', weiterhin Schriften zu Tolstoi und Freud, Zeitungsartikel, eine Satire, zwei Briefe an seine Verfolger in ungekürzter Form. Der Anhang umfasst sechs Dokumente, die für ein Verständnis der zwanziger Jahre in der Sowjetunion von großem Nutzen sind.

Autorenportrait

Alexander Woronski sagte einmal, er habe zwei große Leidenschaften, die Literatur und die Revolution. Als junger Bolschewik nahm er aktiv an der Revolution von 1905 in Russland teil, und als diese in der Niederlage endete, teilte er das Los vieler Revolutionäre, das aus Gefängnis und Exil bestand. Von 1917 an engagierte er sich am Aufbau und der Verteidigung des Sowjetregimes, das aus der Oktoberrevolution entstanden war. In Odessa, in Iwanowo und schließlich in Moskau spielte er in der bolschewistischen Partei eine führende Rolle. In Iwanowo stellte er erstmals sein großes Talent als Herausgeber von Rabotschi krai unter Beweis, der größten Zeitung der Stadt. Von 1918–1920 verfasste er beinahe 400 Artikel für diese Zeitung. Sie zog Lenins Aufmerksamkeit auf sich, und so wurde Woronski nach Moskau eingeladen, wo er 1921 ein neues so genanntes „Dickes Journal“ namens Krasnaja now [Rotes Neuland] gründete. Auf den Seiten dieser Zeitschrift wurden viele wichtige Probleme, vor denen die Sowjetkultur stand, theoretisch erörtert. Sie veröffentlichte Werke der besten Schriftsteller. Die Geschichte der Sowjetunion und der bolschewistischen Partei von 1917–1937 ist außerordentlich komplex, und Woronski nahm an jedem einzelnen der großen, innerparteilichen Kämpfe teil. 1923 trat er der Gruppe um Leo Trotzki bei, die aktiv gegen alarmierende Anzeichen einer bürokratischen Degeneration kämpfte, die sich in der Sowjetunion in der Folge der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) abzeichnete. Als Stalin und Bucharin 1924 ihre Linie eines „Sozialismus in einem Land“ verkündeten, nahm die Linke Opposition um Trotzki den Kampf zur Verteidigung der Perspektive der Weltrevolution auf. Vom Ergebnis dieses Kampfs hing nicht nur das Schicksal der sozialistischen Revolution in Russland, sondern auch in Europa und China ab. Gleichzeitig publizierte Woronski zahlreiche eigene Artikel und redigierte hunderte Werke anderer Autoren. Unermüdlich polemisierte er gegen verschiedene Tendenzen, die damals in Russland aufkamen, zum Beispiel gegen die Proletkult-Bewegung, gegen die Kritiker und Schriftsteller, die sich um die Zeitschriften Na postu und LEF gruppierten, wie auch gegen die Mitglieder von Gruppen wie Molodaja Gwardija und Oktober. Er verteidigte die so genannten „Weggefährten“ und war de facto der Kopf der Schriftstellergruppe Perewal. Als jedoch 1927 die Linke Opposition unterdrückt und vertrieben wurde, verlor auch Woronski seine Stellung als Herausgeber. Im Februar 1928 wurde er aus der Partei ausgeschlossen und im Januar 1929 verhaftet. Nach mehreren Monaten im Exil in Lipezk konnte Woronski Ende 1929 nach Moskau zurückkehren. Die nächsten acht Jahre seines Lebens widmete er der Verteidigung der Prinzipien des Bolschewismus gegen die führende Parteielite unter Stalin, die diese Prinzipien systematisch angriffen. Als alter Bolschewik teilte Woronski das tragische Schicksal einer Generation von Menschen, die die Oktoberrevolution vorbereitet und geleitet hatten. Unablässig verfolgt, erniedrigt und von Repressalien bedroht, versuchten diese Revolutionäre, in einem immer feindlicheren politischen Klima einen modus vivendi zu finden. Sie setzten auf einen Aufschwung der Revolution außerhalb der sowjetischen Grenzen, der es ihnen, so hofften sie, ermöglichen würde, den Würgegriff des stalinistischen Regimes aufzubrechen. Da Woronski keine Gelegenheit mehr hatte, literaturkritische Artikel zu veröffentlichen, wandte er sich seinen Memoiren zu. In nur wenig verfremdeter Form schilderte er das Leben eines jungen Revolutionärs in Russland. In „Das Wasser des Lebens und des Todes“ stellte er im ersten Band sein Leben dar, angefangen bei der Prager Konferenz von 1912. Der nächste Band behandelte die Revolutions- und Bürgerkriegsjahre, wurde jedoch von der NKWD konfisziert, als Woronski am 1. Februar 1937 erneut verhaftet wurde. Es sollte seine letzte Verhaftung sein. Das Manuskript ist bisher in den KGB-Archiven nicht wieder aufgefunden worden und falls es 1937 nicht zerstört wurde, liegt es noch heute dort. Nach mehreren Monaten der Untersuchungshaft wurde Woronski am 13. August 1937 vor Gericht gestellt, zum Tod verurteilt und wahrscheinlich noch am selben Tag erschossen. Woronskis Werke wurden, wie die der meisten Opfer von Stalins Großem Terror, aus den sowjetischen Büchereien entfernt, sein Name aus der sowjetischen Geschichte getilgt.

Rezension

»Woronskis Arbeiten sind vorzüglich geschrieben, man liest sie mit Gewinn über große russische und sowjetische Literatur und mit Freude an seiner Kunst der Analyse und der Polemik. Die Texte und die im Anhang abgedruckten Dokumente bieten einen Einblick in die Entwicklung seiner ästhetischen Auffassungen und in die verbissenen Fraktionskämpfe innerhalb der sowjetischen Literaturbewegung der 20er Jahre.« Werner Röhr, junge welt Die Lektüre des Bandes kann den heutigen Leser durchaus wehmütig stimmen angesichts des Idealismus und des Glaubens an eine bessere und gerechtere Zukunft, des Vertrauens in die Bedeutung des Schriftstellers und die Kraft der Literatur bei der Schaffung dieser künftigen neuen Welt, von denen die Texte Woronskis getragen werden ... Gleichwohl versammelt der Band eine so große Fülle an bisher unzugänglichem und hiermit größter Sorgfalt ediertem Quellenmaterial, das auch dem nicht russischsprachigen Leser die Geschichte dieses Zeitraums näher bringt, so dass die mit diesem Band geleistete Arbeit als höchst verdienstvoll bezeichnet werden muss. Rosalinde Sartorti, H-Net, Clio-online

Inhalt

Vorwort 1911 Publizistische Skizzen über Gorki Publizistische Skizzen über Gorki 1918 Kommunismus, Kirche und Staat 1919 Das Rote Gouvernement 1920 G. W. Plechanow Zum Gedenken an G. W. Plechanow 1921 H. G. Wells über Sowjetrussland Der Verfall der Ideologie 1922 Literarische Silhouetten: Boris Pilnjak 1923 Über eine forsche Phrase und die Klassiker Die Kunst als Erkenntnis des Lebens und die Gegenwart Über proletarische Kunst und über die Kunstpolitik unserer Partei 1925 Freudianismus und Kunst Über Kunst Michail Wassiljewitsch Frunse 1926 Zum Gedenken an Jessenin Larissa Michailowna Reissner Kriecher und Speichellecker 5 1927 Aus der Vergangenheit Bemerkungen zum künstlerischen Schaffen Unsere Literatur Ein donnernder Applaus 1928 Über künstlerische Wahrheit Die Kunst, die Welt zu sehen 1930 Über Perewal 1936 Begegnungen und Gespräche mit Gorki Anhang 1925 Resolution der Ersten Allunionskonferenz der proletarischen Schriftsteller Über die Politik der Partei auf dem Gebiet der künstlerischen Literatur 1927 Fünf Jahre »Krasnaja now« Brief von Woronski an Ordshonikidse vom 3. März 1927 An das Zentralkomitee des Allrussischen Verbands der Metallarbeiter Leo Trotzki: Kultur und Sozialismus Zu dieser Ausgabe Biografische Anmerkungen Glossar Personenregister Sachregister Register der literarischen Werke und Gestalten