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Tagebücher 1992 - 2011

Auszüge, Recherchen 103

Erschienen am 01.10.2012
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783943881196
Sprache: Deutsch
Umfang: 340 S.
Format (T/L/B): 2.1 x 24.1 x 14.1 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Ernst Schumacher, einer der letzten großen Theaterkritiker seiner Generation, Brechtforscher und Hochschullehrer aus Leidenschaft, verstarb im Sommer 2012 im Alter von neunzig Jahren. Das Buch versammelt seine späten Tagebücher (1992 - 2011); es sind unbekannte Texte aus zwei Jahrzehnten, die ein kulturhistorisches Dokument ersten Ranges darstellen: als Bilanzgeschichte des Realsozialismus der DDR, aber auch des sehr persönlichen Erfahrungsgrundes deutsch/deutscher Nachkriegsgeschichte in der Zeit des Kalten Krieges; als ein Lesebuch über das Theater seiner Zeit, über die Liebe seines Lebens zu Renate, seiner Frau, - und zu seinem so tragisch früh verstorbenen Sohn Raoul. Zu entdecken fernerhin wunderbare Porträts bedeutender Zeitgenossen, berührende Heimaterinnerungen an die Familie und seine eigene Herkunft aus Bayern. Kurz: Zu besichtigen ist das Bild eines bis zum Ende seines Lebens engagierten, großzügigen Menschen.

Autorenportrait

Ernst Schumacher wurde am 12. September 1921 in Urspring (Oberbayern) geboren und besuchte das humanistische Gymnasium in Kempten (Allgäu). Von 1940-43 leistete er Kriegsdienst und begann nach schwerer Verwundung an der Ostfront ein Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft an der Universität München. Von 1946 - 49 war er als Publizist tätig, u.a. als Redaktionsmitglied der linkskatholischen Jugendzeitung "Ende und Anfang" in Augsburg. 1953 wurde Ernst Schumacher an der Universität Leipzig zum Thema "Die dramatischen Versuche Bertolt Brechts 1918-1933" bei Hans Mayer, Ernst Bloch und Ernst Engelberg promoviert. Bertolt Brecht hatte er 1949 in Berlin persönlich kennen gelernt. Ernst Schumacher war seit 1949 Mitglied der KPD und Korrespondent des Deutschlandsenders der DDR. Aufgrund einer Strafanzeige wegen "nachrichtendienstlicher Agententätigkeit" saß er im März 1953 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Seit 1954 war er politischer Publizist, Literatur- und Theaterkritiker für die "Deutsche Woche", bevor er 1962 in die DDR übersiedelte; hier war er seit 1964 Theaterkritiker der "Berliner Zeitung". 1965 habilitierte er an der Philosophischen Fakultät der Karl-Marx-Universität Leipzig zum Thema "Drama und Geschichte. Bertolt Brechts ,Leben des Galilei' und andere Stücke". Von 1969 bis 1986 war Ernst Schumacher Leiter des Lehrstuhls Theorie der darstellenden Künste am Institut für Theaterwissenschaft der Humboldt-Universität Berlin. Von 1972-91 war er Ordentliches Mitglied der Sektion Darstellende Kunst der Akademie der Künste der DDR. Ernst Schumacher, der mit seiner Frau Renate in Schwerin (Landkreis Dahme-Spreewald) ansässig war, starb am 7. Juni 2012.

Leseprobe

In seiner Eintragung vom 19.12.2011 notiert Ernst Schumacher, dass Theater der Zeit die "allerletzte hoffnung" sei, seine späten Tagebücher selbst noch gedruckt in den Händen halten zu können, aber er glaubte nicht mehr recht daran: ". ich vermag mir kaum hoffnung zu machen. l'homme passé." Es sind die letzten Sätze der von Ernst Schumacher über Jahrzehnte geführten Tagebuchaufzeichnungen. Er sei endgültig "ein mann der vergangenheit"! Nur wenige Tage vor seinem Tod im Juni 2012 erfährt er, dass das von ihm so sehr Erhoffte doch noch Realität wird: "Ernst Schumacher. Tagebücher 1992 - 2011" soll im Herbst 2012 in Buchform vorliegen. Er kann die Nachricht noch aufnehmen und ist glücklich darüber. Ein knappes Jahr zuvor - anlässlich seines 90. Geburtstages - lasen Freunde auf der Probebühne des Berliner Ensemble zum ersten Mal öffentlich in Auszügen aus diesen späten Tagebüchern: Da saß er selbst noch im Publikum. Es sollte jedoch seine letzte Fahrt hin zu jenem Ort werden, an dem seine erste direkte Begegnung mit dem Theater Brechts vor mehr als sechzig Jahren stattfand; eine Erfahrung, die sich in den Jahrzehnten, die darauf folgten, zum wichtigsten Arbeitsfeld seines gesamten Lebens als Wissenschaftler, Publizist und Kritiker erweitern sollte. Auch das bezeugen die Aufzeichnungen seiner Tagebücher. Aber sie gewinnen in ihren biografischen Horizonten, über die besondere Beziehung zu seinem wissenschaftlichen Gegenstand "Brecht" hinaus, entscheidend erweiterte Einsichten über das eigene Leben. Denn Ernst Schumacher schreibt in seiner eigenen Person selbst Geschichte. Als große autobiografische Erzählung über die historischen Verwerfungen eines ganzen Jahrhunderts angelegt, eröffnen die von ihm hinterlassenen Erinnerungen sowohl einen sehr eindringlichen und persönlichen poetischen Raum als auch, hierin verbunden, einen gleichermaßen immer um Objektivität bemühten Maßstab des eigenen Denkens, der sich in seinen späten Jahren nicht zuletzt in der verstärkten Kritik und Selbstkritik eines dogmatisch erstarrten Marxismus-Begriffs als fatale Epochenbilanz auch seines eigenen Lebens ausweist. Die Themenfelder seiner Aufzeichnungen vor diesem Hintergrund sind weit gefächert: Durchgehend werden die andauernden Mühen, zum Teil auch die Qualen und Altersblockaden des eigenen Forschens und Nachdenkens benannt. Im Zusammenhang mit den Betrachtungen über die politischen und Machtverhältnisse in einer globalisierten Welt des Kapitals und den daraus unmittelbar abgeleiteten Fragen auch der deutschen Teilung und Wiedervereinigung nach vierzig Jahren steht immer wieder die Krisenerfahrung und das Ende des sozialistischen Experiments im Raum. Dennoch bekennt sich Ernst Schumacher - bis zuletzt und trotz der historischen wie individuellen Erfahrung dieses Scheiterns - zu dessen ursprünglichem Entwurf. Das Theater und seine Entwicklung nach 1990 sind als immanenter Bestandteil der veränderten Wirklichkeit in solchem Denken unmittelbar aufgehoben und - von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen - einer fundamentalen Kritik unterzogen. So erscheinen die Theaterkritiken, die er in diesen Jahren an die Feuilletonredaktion der "Berliner Zeitung" absendet, aber vor allem auch jene, die er zu seinem eigenen Selbstverständnis bis zuletzt in seinen Tagebuchaufzeichnungen unveröffentlicht zurückhält, weit mehr als zuvor aus den allgemeinen politischen Wahrnehmungen zur Zeitgeschichte denn aus einem besonderen Schreibimpuls eher moderater Tageskritik abgeleitet. Die Schärfe seiner Urteile ist dabei gleichwohl eindrucksvoll und weiterführend. Heraus- ragend darüber hinaus die vielen in seine Tagebuchnotizen eingerückten Porträts von Zeitgenossen. In der Mehrzahl im Zusammenhang von bekannt gewordenen Todesnachrichten für sich notiert oder aber auch später veröffentlicht, verweisen diese Nachrufe zunehmend auf das wachsende, nicht mehr zu verdrängende Bewusstsein vom Wegsterben seiner Generation insgesamt. Erwähnenswert und in einem weiteren S