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Aus dem versiegelten Tagebuch

Weihnacht mit Thomas Bernhard

Erschienen am 01.01.1992, 1. Aufl.
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783900878856
Sprache: Deutsch
Umfang: 162
Format (T/L/B): 21.0 x 15.0 cm

Beschreibung

15.11.1972 Wie vereinbart kam Thomas um 8 Uhr 15 zur Abfahrt nach Ottnang. Ich hatte bereits die Post von Ohlsdorf geholt, und nachdem wir sie durchgesehen hatten, fuhren wir weg. Am Bahnhof Ottnang trafen wir mit dem Eisenbahner Huemer zusammen, und der führte uns zum Haus. Die Besichtigung fiel besser als erwartet aus. Die Räume waren schöner als vermutet, und das Grundstück um das Haus entsprach in den Grenzen unseren Vermutungen. Thomas drängte mich, mit der Besitzerin so bald als möglich abzuschließen. Ich sagte Thomas, daß ich mir erst einen Vermittlungsauftrag geben ließe, denn wenn ich schon mit einem Käufer ankäme, könnte ich den Preis nicht so gut herunterhandeln, wie wenn ich den Verkauf nur in Aussicht stellte. Mit Huemer habe ich dann für Freitag 7 Uhr einen Besuch bei seiner Mutter in St. Agatha bei Waizenkirchen vereinbart. Um 10 Uhr 30 waren wir wieder in Weinberg, und Thomas fuhr nach Gmunden weiter, um sein Auto abzuliefern. Um 17 Uhr kam Thomas wieder. Er erzählte, daß er für 11 Uhr Frau Hufnagl zu sich bestellt habe, da er ohne Auto war. Mit Frau Hufnagl war er nach Neydharting gefahren. Frau Hufnagl wollte im Hallenbad baden. Thomas machte mir Vorwürfe, daß ich gesagt hatte, das Bad sei sehr gut; deswegen habe er Frau Hufnagl Neydharting vorgeschlagen. Es war aber so heiß in dem Bad, und circa vierzig übergewichtige schweißtriefende stinkende Badegäste waren im Wasser. „Man kann unmöglich dort baden, das ist ja ein Graus", sagte Thomas, „wie kannst Du da sagen, das Bad sei sehr schön, wenn es so unhygienisch ist." Ich sagte: „Ich war kurz nach Eröffnung an einigen Vormittagen dort, und es waren damals nur wenige Leute da. Damals war es allerdings auch sehr heiß." Zum Abendessen hatten wir dann Fasan und Blaukraut. Dazu öffnete ich eine Flasche Rotwein, aber es kam noch eine zweite dazu. Thomas trank absichtlich etwas mehr, da er ohne Auto da war. Frau Hufnagl hatte ihn ja zu mir gebracht. Vorher war er mit ihr in Wels gewesen und hatte in der Versteigerungshalle das ganze Leder durcheinander gebracht, aber nichts Passendes gefunden. Für Omi wollte er einen Teppich angabieren, aber Frau Hufnagl hat ihn davon zurückgehalten. Da Omi nur auf Dein Anraten kauft, sagte ich, werde ich morgen hinfahren und den Teppich für Omi nehmen. Wenn sie von Linz kommt, gibt es eine Überraschung für sie. Wie kannst Du nur auf Frau Hufnagl hören. Du mußt ja wissen, daß Du das ohne weiteres hättest machen können. Ja, eben, sagte Thomas, wenn ich alleine gewesen wäre, hätte ich den bestimmt sofort gekauft, weil das ist genau das, was Omi sucht und was auch ins Wohnzimmer paßt. Nach der Tagesschau sahen wir noch die Sendung im Deutschen Fernsehen, 4 Tage vor der Wahl, an. Außer für Franz Josef Strauß, den er immer im bayerischen Dialekt nachspottete, hatte Thomas für Willy Brandt, Scheel und Rainer Barzel nur vernichtende Kritik übrig. Als das Gesicht von Brandt in Großaufnahme zu sehen war, sagte Thomas, die Falten im Gesicht hat er von Adenauer, den Geist hat er von Deinem Nachbarn Auinger. Dann brüllte Thomas erfundene lustige Wahlschlagworte, und ich wiederholte brüllend in der Art des Vaters in seinem Stück Der Ignorant und der Wahn sinnige einzelne Worte. Damit kamen wir wieder auf den Ignoranten und den Skandal zu sprechen. Da fiel mir die Schwester von Thomas ein, die sich für diese Aufführung ein neues Kleid und neue Schuhe gekauft hatte. Ich fragte Thomas, um wieviel Uhr er an dem Tag mit seiner Schwester telefoniert hatte, denn da hat er ihr gesagt, daß sie das Kleid und die Schuhe wahrscheinlich umsonst gekauft hatte. So gegen 15 Uhr, sagte Thomas. Aha, sagte ich, da hast Du schon um 15 Uhr mit dem Skandal gerechnet. Natürlich, nachdem die Uraufführung so gut war, dachte ich mir, das war eh noch nie, daß eine Vorstellung nicht stattfindet, das möchte ich einmal erleben. Und nachdem ich wußte, daß die Schauspieler auf mich hören, rechnete ich eher mit einer Absage, sagte Thomas. Damit habe ich wieder einen neuen Beweis, sagte ich lachend. Dann schimpfte Thomas auf seine Schwester und seinen Bruder, weil sie sich so lange nicht sehen lassen. Seine Schwester sei in den 8 Jahren nur zweimal in Nathal gewesen, sagte Thomas. Bei 70 km Entfernung sei das zuwenig. Auch Peter sollte doch einmal kommen. „Das kannst Du nicht erwarten," sagte ich, „nachdem Du ihn so grob behandelt hast." „Aber, aber, das ist doch vorbei, aber mein Bruder und meine Schwester begreifen das nicht, daß ich zu was gekommen bin, und neiden mir alles. Aber die sind so …, daß sie 150 Jahre alt werden könnten, dann würden sie noch immer nicht das erreichen, was ich schon mit 40 Jahren erreicht habe. Das haben die alle schon übersehen, die können mich nicht mehr einholen."